Wieso verklagen wir den Deutschen Bundestag?
Seit der Verabschiedung des BDS Beschlusses durch den Deutschen Bundestag im Mai 2019, richten sich faktisch Bundesländer, Gemeinden, sonstige öffentliche Akteure und sogar private Firmen nach dem Aufruf des Bundestages und verweigern oder entziehen in der Praxis BDS-Aktivist*innen und Palästina-Unterstützer*innen öffentliche Räume. Damit verletzt der Deutsche Bundestag und alle involvierten Akteure das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 GG) und die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG).
Diese Verletzung der persönlichen Grundrechte betraf bis jetzt unter anderem die folgenden Personen (unvollständige Aufzählung):
ACHILLE MBEMBE
Historiker, Politikwissenschaftler und Philosoph aus Kamerun, mehrfach in Deutschland preisgekrönt
KAMILA SHAMSIE
Britisch-pakistanische Autorin Kamila Shamsie und Preisträgerin des Women's Prize for Fiction in 2018
TALIB KWELI
US-Amerikanischer Rapper
Neben diesen Beispielen und uns als Kläger*innen waren auch viele weitere Künstler*innen, Intellektuelle und Denker aus Deutschland und der Welt betroffen und mussten eine massive Einschränkung ihrer Freiheitsrechte in Deutschland aufgrund ihrer Nähe zu BDS und dem Einsatz für die Menschenrechte der Palästinenser*innen hinnehmen.
Die größte Beeinträchtigung aufgrund des Beschluss des Deutschen Bundestags erleiden allerdings die Palästinenser*innen und Deutsch-Palästinenser*innen selbst. Zusätzlich zu Vertreibung und Exil, Apartheid und Besatzung, alltäglicher Bedrohung und Erniedrigung, werden sie in Deutschland des Antisemitismus bezichtigt. Weil das erlittene Unrecht derart klar belegt ist, bleibt den Befürworter*innen der Apartheids- und Besatzungspraxis des israelischen Staats eben nur ein Mittel: nämlich die Verleumdung von Palästinenser*innen.
Wir werden diesen Praktiken des Deutschen Bundestags und der Länder, Gemeinden und Kommunen nicht weiter tatenlos zusehen. Unsere gemeinsame Geschichte, die uns auf verschiedenen Wegen zusammengeführt hat, verpflichtet uns für die universellen Menschenrechte und gegen Rassismus und Diskriminierung einzustehen. Neben der Rücknahme des Deutschen Bundestags fordern wir gemeinsam von dem Deutschen Bundestag:
Meinungsfreiheit für Menschenrechtsarbeit
Einhaltung von Menschenrechten und Völkerrecht in Israel und Palästina
Gleiche Rechte aller Menschen in Palästina und Israel und die Beendigung der israelischen Besatzung
Was ist der BDS Beschluss des Deutschen Bundestags?
Am 17. Mai 2019 hat der Deutsche Bundestag den Antrag „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ (Bundestagsdrucksache 19/10191) mit großer Mehrheit beschlossen. Darin erklärt der Deutsche Bundestag:
Das Ziel des Beschlusses ist der öffentliche Ausschluss der Klägerin und Kläger von Räumen und Finanzen mit der Begründung, dass die BDS-Bewegung mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus vergleichbar sei. Mit dem Beschluss erklärte der Bundestag, dass sie jede Person, die die Meinung der BDS vertritt, von jeglicher Unterstützung mit Räumen, Finanzen und Einrichtungen ausschließt. Das Gleiche fordert der Bundestag von allen Ländern, Kommunen, Städten und allen anderen öffentlichen Akteuren.
Die folgenden Beschlüsse (Auszug) wurden konkret vom Deutschen Bundestag verabschiedet:
“2. […] Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen;
[…]
5. […] keine Projekte finanziell zu fördern, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen;
6. Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure dazu aufzurufen, sich dieser Haltung anzuschließen.”
Die Fraktion DIE LINKE. stimmte zwar gegen den Beschluss, aber für einen eigenen Antrag, der sich ebenfalls gegen BDS aussprach. Eine kleine Minderheit des Bundestags hat sich ganz enthalten und die AfD versuchte gar einen Verbotsantrag gegen BDS durchzubringen.
Wir stellen fest: Im gesamten Deutschen Bundestag gab es keine einzige Stimme, die sich klar und bedingungslos auf die Seite der Unterdrückten und des Völkerrechts gestellt hat. Dieser Beschluss und die weitverbreitete systematische Behinderung einer Menschenrechtskampagne wird eines Tages in der Öffentlichkeit als das Äquivalent zur Unterstützung des südafrikanischen Apartheidstaates und der Diffamierung und Kriminalisierung der dortigen Befreiungsbewegung gelten.
Aufruf von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftler*innen
an die Deutsche Bundesregierung
SETZEN SIE „BDS“ NICHT MIT ANTISEMITISMUS GLEICH
Mitte Mai 2019
Original Aufruf
“Die Meinungen zu BDS gehen unter den Unterzeichnern dieses Aufrufs erheblich auseinander: Manche mögen BDS unterstützen, während andere es aus verschiedenen Gründen ablehnen. Wir alle lehnen jedoch gleichermaßen die trügerische Behauptung ab, BDS sei als solches antisemitisch, und wir bekräftigen, dass Boykotte ein legitimes und gewaltfreies Mittel des Widerstands sind.”
“Die BDS-Bewegung versucht,die Regierungspolitik eines Staates zu beeinflussen, der für die anhaltende Besetzung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes verantwortlich ist. Eine solche Politik kann nicht immun gegen Kritik sein. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass viele jüdische und israelische Einzelpersonen und Gruppen BDS entweder ausdrücklich unterstützen oder das Recht darauf verteidigen. Wir halten es für unangemessen und beleidigend, wenn deutsche Regierungs- und parlamentarische Institutionen sie als antisemitisch abstempeln.”
“Darüber hinaus entsprechen die drei Hauptziele von BDS die Beendigung der Besatzung, die volle Gleichberechtigung der arabischen Bürger Israels und das Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge internationalem Recht, auch wenn das dritte Ziel zweifellos diskussionswürdig ist. Wir sind entsetzt darüber, dass Forderungen nach Gleichberechtigung und der Einhaltung des Völkerrechts als antisemitisch angesehen werden.”
Die juristische Bewertung des BDS Beschluss des Deutschen Bundestags
Der beauftragte Rechtsanwalt Ahmed Abed, der bereits erfolgreich gegen die Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 und 8 GG) der BDS-Bewegung geklagt (Niedersächsisches OVG, 10 ME 48/19, VG Köln, 14 L 1765/19) hat, erklärt:
“Anstatt den Einsatz für Menschenrechte in Palästina und Israel zu fördern werden BDS-Aktivist*innen durch den Bundestag Beschluss angegriffen. Die Bundesrepublik hat jedoch die Pflicht die Meinungsfreiheit für Menschenrechtsarbeit zu unterstützen.
Der Staat muss die Meinungsfreiheit für Menschenrechtsarbeit gewährleisten und darf sie nicht einschränken. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für die Einschränkungen der Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit, Art. 5, 8 und 9 GG.
Der Bundestag fordert von den Ländern, Gemeinden und allen anderen öffentlichen Akteuren, dass Räume, Finanzen und Einrichtungen für die Klägerin und die Kläger verboten werden. Der Beschluss beinhaltet nichts weniger als die Aufforderung zum Gesetzesbruch. Denn die Grundrechte und vorrangige Gesetze, die die Bereitstellung von Räumen und Einrichtungen garantieren, werden ohne Kommentar übergangen.
Die BDS-Kampagne ist nicht antisemitisch. Das hat bereits das Niedersächsische OVG im März 2019 und das VG Köln im September 2019 entschieden. Die IHRA-Definition auf der sich diese Bewertung beruht ist abgeändert, nicht-rechtsverbindlich und wissenschaftlich nicht haltbar. Der Beschluss ist zudem so einseitig, dass er die verfassungsrechtlichen Vorgaben für staatliche Warnungen nicht erfüllt.
Ohne Beleg wird schwerwiegende und ehrverletzende Anschuldigung erhoben, wie dem Vergleich mit dem eliminatorisch-rassistischen Antisemitismus der NS-Zeit, der in der Shoah Millionen europäische Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen.
Besonders deutlich wurde die Prangerwirkung des Beschlusses durch den Ruf nach Redeverbot gegen Achille Mbembe in Nordrhein-Westfalen und gegen Frau Judith Bernstein bei der Veranstaltung „Meinungsfreiheit statt Zensur“ durch die Stadt Frankfurt am Main.
Außerdem ist der Beschluss unvereinbar mit europäischen und internationalen Menschenrechten, wie sie aus Art. 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem UN-Zivilpakt hervorgehen.
Wir sind zuversichtlich, dass das Verwaltungsgericht Berlin wie in der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 11. Juni 2020 (Baldassi et al vs. Frankreich, Rechtssache 15271/16 und andere), des Europäischen Gerichtshofes (C-363/18) und des Verwaltungsgerichts Köln vom 12. September 2019 (14 L 1765/19) sich für die Meinungsfreiheit der Menschenrechtsarbeit der Klägerin und der Kläger entscheiden wird.“
Die Klage wird unterstützt vom European Legal Support Centre (ELSC) und den international renommierten Völkerrechtlern Prof. Eric David, Prof. Xavier Dupré De Boulois, Prof. Richard Falk (ehemaliger UN-Sonderberichterstatter) und Prof. John Reynolds.