Zusammenfassung der Klagebegründung im Verfahren gegen den Anti-BDS-Beschluss vor dem Verwaltungsgericht Berlin (Gz. VG 2 K 79/20)
Von Rechtsanwalt Ahmed Abed
Die Klage richtet sich auf die Nichtigkeit und Unterlassung des Anti-BDS-Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 17.05.2019 (Dr. 19/10191).
Im Namen der Bundestag 3 für Palästina #BT3P wurde am 18.05.2020 die Klage gegen den Bundestagsbeschluss vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben. Die BT3P sind die Klägerinnen und Kläger Frau Judith Bernstein, Herr Amir Ali und Herr Christoph Glanz, mit drei verschiedenen Hintergründen – jüdisch, palästinensisch und deutsch –, einer gemeinsamen Geschichte und einem Ziel:
GEMEINSAM FÜR MENSCHENRECHTE UND VÖLKERRECHT! FÜR GLEICHE RECHTE ALLER MENSCHEN IN ISRAEL UND PALÄSTINA UND DIE BEENDIGUNG DER ISRAELISCHEN BESATZUNG!
Mit dem Beschluss werden die Kläger*innen, die sich für Menschenrechte mit der Boycott, Divestment and Sanctions-Bewegung (BDS-Bewegung) einsetzen, einer besonders hohen öffentlichen Diffamierung ausgesetzt mit dem Ziel sie von öffentlichen Diskussionen auszuschließen, wodurch die Menschenrechtsarbeit in Deutschland enormen Schaden nimmt. Ohne Rechtsgrundlage wird innerhalb des Bundestages die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschränkt und andere öffentliche Akteure, wie Länder, Kommunen und Städte dazu aufgerufen, ebenfalls einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Normen zu missachten, wie dem kommunalen Nutzungsrecht von Räumen.
Aus der schrecklichen Situation für die 4,98 Mio. Palästinenserinnen unter israelischer Militärbesatzung, der Annexion und israelischen Apartheid (siehe u.a. Bericht des UN-Sonderberichterstatter Michael Lynk vom 15.06.2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/A_HRC_44_60.pdf; EJIL 2013, p. 867-913, http://ejil.oxfordjournals.org/content/24/3/867.full.pdf+html und Israeli Practices towards the Palestinian People, Bericht der UN Wirtschafts- und Sozialkommission für Westasien [UN-ESCWA] 2017, http://justicenow.de/wp-content/uploads/2017/03/2017_ESCWA_Israeli-Practices-towards-the-Palestinian-People-and-the-Question-of-Apartheid.pdf#page=61 ) entstammt ihre Motivation sich für Menschenrechte und Völkerrechte einzusetzen. Sie fordern gleiche bürgerliche und soziale Rechte für alle Menschen in Israel und Palästina und ein Ende der israelischen Besatzung. In Anbetracht ihrer lauteren Motive und persönlichen Geschichten gegenüber der hohen Autorität des Bundestages in der Öffentlichkeit ist die stigmatisierende Wirkung des Beschlusses besonders hoch.
Unterstützt wird die Klage vom European Legal Support Centre (ELSC, www.elsc.support) mit dem Rechtsgutachten „Rechtliche Auswirkungen des vom Deutschen Bundestag am 17. Mai 2019 angenommenen „Anti-BDS Beschlusses von den Völkerrechtlern Prof. em. Eric David, Prof. Xavier Dupré De Boulois, Prof. em. Richard Falk (ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Israel und Palästina) und Prof. John Reynold. Sie weisen nach, dass der Beschluss unvereinbar ist mit europäischen und internationalen Menschenrechtsnormen.
Aufruf zum Gesetzesbruch ist rechtswidrig
Die Aufrufe an die Länder, Kommunen und alle anderen öffentlichen Akteure zu gesetzeswidrigem Handeln, wie dem Verbot der Nutzung von kommunalen Räumen, dem Ausschluss von kommunalen Finanzierungen und Einrichtungen, ist rechtswidrig. Der Bundestag hat anstelle eines Gesetzes einen Beschluss gefasst, der eine gesetzesähnliche Wirkung entfaltet, um die Meinungsfreiheit der Klägerinnen, die die BDS-Kampagne unterstützen, zu beschränken. Nach dem Grundgesetz ist der Bundestag jedoch verpflichtet ein Gesetz zu erlassen, wenn sie die Meinungsfreiheit oder die Versammlungsfreiheit einschränken will (Art. 5 Abs. 2 GG, Art. 8 Abs. 2 GG). Ein solches Gesetz wäre jedoch verfassungswidrig, nicht vereinbar mit Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 EMRK (Urteil des EGMR vom 11.06.2020, R.no. 15271, http://hudoc.echr.coe.int/fre?i=001-202756 , Press release http://hudoc.echr.coe.int/fre?i=003-6718555-8953654), der europäischen Verordnung [EU] Nr. 1169/2011 (EuGH, C-363/18, http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=220534) und der staatlichen Verpflichtung der Nicht-Unterstützung und Nicht-Anerkennung der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung.
Das Parlament darf in seinen Beschlüssen keinesfalls etwas verfassungsrechtlich oder auch einfachgesetzlich Unzulässiges (Rechtswidriges) verlangen. Andernfalls ist das Parlament gehalten, Gesetze allgemein verbindlich zu ändern oder Änderungen zu initiieren. Keinesfalls kann es, auch wenn es sich um eigene Rechtsregeln handelt, diese durch Beschluss für den Einzelfall außer Vollzug setzen.
Luch, Anika D., in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, S. 417;
Staatliche Verpflichtung zur Unterstützung von Menschenrechtsarbeit
Die Auswirkungen der stigmatisierenden Bewertung und gesetzeswidrigen Aufrufen führte in Frankfurt am Main, München, Oldenburg, Bonn, Göttingen, Berlin, Mannheim, Bielefeld, Dortmund, Aachen und auf den Musikfestivals Open-Source und Ruhrtriennale zur Verletzung der Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit für die Menschenrechtsarbeit der Klägerinnen. Nur mit mehreren erfolgreichen Gerichtsverfahren konnten die Grundrechte der Klägerinnen verteidigt werden. Der Staat hat indes die Pflicht Menschenrechtsarbeit zu unterstützen und nicht zu behindern, Art. 10 und 11 EMRK, Art. 19 Abs. 1, 21 und 22 IpbR.
Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit der BT3P – Vorfälle in Städten und Gemeinden
Anhand von zahlreichen Vorfällen in den letzten Jahren wird deutlich, dass die Stigmatisierung, der öffentliche Ausschluss, bis hin zu Beleidigungen gegen die Klägerinnen und andere Aktivistinnen zur Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Versammlungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG, und Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 GG, sowie Art. 10 und 11 EMRK, 19 Abs. 1, 21 und 22 IpbR geführt haben. Beispielhaft sind folgende Vorfälle.
(1) Mit der Begründung, dass dem Bundestagsbeschluss gefolgt werden müsse, wurde von der Stadt Frankfurt am Main versucht im Oktober 2019 eine Veranstaltung mit Frau Judith Bernstein zum Thema „Meinungsfreiheit statt Zensur“ der IPPNW und attac zu verhindern, sie als Anhängerin des nationalsozialistischen Antisemitismus gebrandmarkt und mit dem Mörder von Halle verglichen. Nach der kurzfristigen Raumkündigung fand die Veranstaltung durch einen gerichtlichen Eilentscheid statt. Auch in München wurden Räume gekündigt.
(2) Herr Christoph Glanz wurde wegen seiner BDS-Unterstützung in langen Tiraden auf einer Veranstaltung von einem Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft (DIG) als „Antisemitenschwein“ und „Scheißantisemit“ beleidigt und versucht mit Gewalt aus dem Raum zu zerren. Statt Herrn Glanz herauszuwerfen, warfen die Veranstalterinnen und Besucherinnen das DIG Vorstandsmitglied raus. Das Landgericht Oldenburg verurteilte ihn daraufhin, zog jedoch den Bundestagsbeschluss als Grundlage für die Bewertung des Angriffs gegen Herrn Glanz heran. Im gleichen Jahr musste Herr Glanz sein kommunales Raumnutzungsrecht, dass ihm wegen seiner BDS-Unterstützung verwehrt wurde, gerichtlich durchsetzen (Nds. OVG, Az. 10 ME 48/19). Bereits im Jahr 2016 wurde ihm die Nutzung eines kommunalen Raums verboten.
(3) Amir Ali ist Mitglied der Gruppe „Palästina spricht! Koalition für palästinensische Rechte und gegen Rassismus“. Der Senat Berlins versuchte wegen des Beschlusses im Januar 2020 eine Veranstaltung mit „Palästina spricht!“ zu verhindern, was scheiterte.
Weitere Vorfälle und Gerichtsverfahren bei denen die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden, der Deutsch-Palästinensische Frauenverein, die Palästinensische Gemeinde Bonn, das Friedensplenum Mannheim, die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft, „Palästinensische Vereine“ in Bonn, Rolf Verleger, Achille Mbembe, Klaus Ried, IPPNW, Kamila Shamsie, Walid Raad, Nirit Sommerfeld, Talib Kweli, Christoph Glanz, Judith Bernstein und Dr. Reiner Bernstein wegen des Beschlusses oder ähnlicher Beschlüsse angegriffen und von öffentlichen Räumen ausgeschlossen worden sind, zeigen auf, wie sehr die Meinungsfreiheit für Menschenrechtsarbeit in Deutschland eingeschränkt worden ist.
Keine rechtliche und tatsächliche Grundlage für die Warnungen und Bewertungen
Es besteht keine Rechtsgrundlage für die staatlichen Warnung vor der BDS-Kampagne und die höchstrichterlichen Vorgaben für staatliches Informationshandlungen werden nicht beachtet (siehe Glykolwein-Beschluss [BVerfGE 105, 253] und Osho-Beschluss [BVerfGE 105, 278]). Eine Anhörung fand nicht statt und der Bundestag urteilt ausschließlich einseitig. Der Vergleich mit dem nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus gegen die BDS-Kampagne und gegen die Klägerinnen ist ohne tatsächliche und rechtliche Grundlage, besonders ehrverletzend und führt zu einer enormen Prangerwirkung (vgl. OLG Nürnberg, Az. 3 U 1523/18, LG München I, Az. 25 O 1612/17). Die BDS-Kampagne und die Klägerinnen verachten Antisemitismus, ganz besonders aus ihrer persönlichen Geschichte heraus.
Unanwendbare und abgeänderte Antisemitismusdefinition der IHRA
Die verwendete Antisemitismusdefinition ist wissenschaftlich nicht belastbar und deshalb unanwendbar (siehe ausführlich GUTACHTEN ZUR «ARBEITSDEFINITION ANTISEMITISMUS» DER INTERNATIONAL HOLOCAUST REMEMBRANCE ALLIANCE, von Dr. Dr. Peter Ulrich, September 2019, https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls_papers/Papers_2-2019_Antisemitismus.pdf ). Der Beschluss führt eine veränderte IHRA-Definition auf, die nicht mehr der IHRA-Definition der europäischen Regierungen entspricht. Der dritte Satz „Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.“ entstammt nicht der IHRA-Definition, sondern den Anwendungsanweisungen zur Definition. Im Wesentlichen sprechen vier Argumente gegen die Anwendbarkeit der IHRA-Definition. Die Anwendungsanweisung zur Definition, dass der Gesamtkontext betrachtet werden müsse, ist ausgesprochen unbestimmt; die Agency for Fundamental Rights hat die Definition abgelehnt; Die Definition soll nicht rechtsverbindlich sein, wird aber mit rechtlichen Konsequenzen angewendet; Die Anwendungsanweisungen zur Definition beinhaltet eine Art Exkulpationssatz „Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“, womit praktisch die ganze Menschheitsgeschichte mit Israels Praktiken verglichen werden kann. Die im Beschluss aufgeführte IHRA-Definition hält einer kritischen Betrachtung nicht stand.
Keine Gesetzesgrundlage für die Einschränkung der BDS-Kampagne im Bundestag
Die selbstbindenden Regelungen für den Bundestag (III. des Beschlusses) die Meinung der Klägerinnen als Ausschlusskriterium in Räumen, Einrichtungen und bei der Finanzierung des Bundestages festzulegen, fehlt die Rechtsgrundlage. Der Bundestag ist jedoch an Recht, Gesetz und Verfassung gebunden, Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 20 Abs. 1 GG. Die Einschränkungen der Grundrechte ohne Gesetz sind unvereinbar mit dem Grundgesetz und einfachgesetzlichen Bestimmungen.
Weitere erfolgreiche Verfahren
Zugunsten der Klägerinnen und anderen Aktivistinnen der BDS-Kampagne entschieden das Verwaltungsgericht Oldenburg (Raumentzug, Az. 3 A 3012/16), Niedersächsische OVG (Raumentzug, Az. 10 ME 48/19), Landgericht München I (Raumentzug, Az. 12 O 13183/19), VG Köln (Raumentzug, Az. 14 L 1765/19), LG Mannheim (Raumentzug, Az. 17 C 5568/19), LG Oldenburg (Beleidigung, Az. 5 O 1380/19), LG Frankfurt a.M. (Raumentzug, Az. 2-32 O 126/19), LG Stuttgart (Falschbehauptung/Beleidigung, Az. 11 O 120/19) der EGMR (Sanktionierung, Baldassi u. a. gg. Frankreich, Az. 15271/16), und der EuGH (Kennzeichnungspflicht, Az. C-363/18). Weitere Verfahren sind anhängig beim VG Frankfurt a.M. (Falschbehauptung/Beleidigung, Az. 7 K 851/20.F) und dem Bayerischen VGH (Raumentzug, Az. M 7 K 18.3672). Bereits im Verfahren vor dem Nds. OVG (Az. 10 ME 48/19) erklärte das Gericht, dass die BDS-Kampagne nicht als antisemitisch bezeichnet werden könne und im Verfahren vor dem VG Köln (Az. 14 L 1747/19) wurde ausgeführt, dass die Grundrechte nicht durch den Beschluss eingeschränkt werden dürfen.